HAIKU
Haiku, eine Form der japanischen Poesie, zeichnet sich dadurch aus, dass die Verse auf das absolut Wesentliche reduziert werden. Dennoch können sie, dem der sich auf sie einlässt, ein Gefühl - gleichsam einem Bild - vermitteln. Die im 17. Jahrhundert entstandene Dichtkunst besteht meist aus drei Wortgruppen von 5 – 7 – 5 Silben. Im Deutschen werden Haiku in der Regel dreizeilig geschrieben. Es ist mittlerweile üblich, ohne Verlust des inhaltlichen Gedankengangs oder des nahegelegten Bildes mit weniger als 17 Silben auszukommen. Unverzichtbarer Bestandteil von Haiku sind Konkretheit und der Bezug auf die Gegenwart. Als Wesensmerkmal gelten auch die nicht abgeschlossenen, offenen Texte, die sich erst durch die Inspiration des Lesers vervollständigen. Im Text wird nicht alles gesagt, Gefühle werden nur selten benannt. Sie sollen sich erst durch die aufgeführten konkreten Dinge und den Zusammenhang erschließen, gewissermaßen eine metaphorische Ebene vermitteln.

Der dem Haiku zugrundeliegende methodische Ansatz lässt sich fotografisch am ehesten mit den Mitteln der Makrofotografie umsetzen. Die hier gezeigten Fotos sind keine Illustrationen von Haiku-Gedichten, sondern sie folgen lediglich in ihrer formalen Struktur und in ihrem Aufbau den Haiku-Texten als einem ästhetischen Konzept. Es werden keine Zustände fotografiert, sondern es sollen kleine unscheinbare Prozesse dargestellt werden.

Dabei kann es sich beispielsweise um die Bewegung von Pflanzen, Tieren, Wasser, Wind usw.. handeln. Dem Wachsen und Welken einer Pflanze, als dem Kommen und Gehen eines synchronen, bewegten Vorgangs in der Natur wird Aufmerksamkeit geschenkt. 

Ein Element des Bildes (meist seitlich) öffnet den Raum in Verbindung mit einer asymmetrischen Komposition. Die Fotografie folgt dem Prinzip der Askese. Daraus folgt, dass keine Objekte fotografiert werden, sondern die fokussierten Teile des Bildesden Raum für eigene Gedanken und Gefühle öffnen bzw. umschreiben. Dabei sind jene „scharfen“ Elemente von untergeordneter Bedeutung und nicht der eigentliche Gegenstand des Fotos. 

Entscheidend ist die Reduktion des Motivs auf die Leere, entsprechend der Philosophie des Zen: Das Wesen aller Dinge ist das Nichts. Nichts bleibt so, nichts ist fertig, nichts ist vollkommen, alles ist vorläufig, alles befindet sich in Zwischenzuständen, alles wird schöner.

Haiku ist plötzlich – es dreht sich um den Moment, der Aufnahme eines Augenblicks bzw. einer Begegnung. Nähe entsteht. 

Durch die Unschärfe, die fehlende gegenständliche Fülle und Abstraktion soll der Betrachter in die Lage versetzt werden, eigene Gedanken und eine eigene Inspiration zu entwickeln. Er beurteilt nicht, er deutet nicht, er nimmt nur wahr – ohne einen Sinn zu suchen, sondern Empathie zu empfinden.